Angelika Frommherz

Achberg_BZ.jpg

Ausstellungsansicht "Berliner Zimmer" Homecoming Artists - Schloß Achberg 2020, Landkreis Ravensburg. Foto © Anja Koehler

1 / 6 vor »

Katalogtext von Prof. Dr .Martin Oswald anlässlich der Ausstellung „Berliner Zimmer - Homecoming  Artists“ auf Schloss Achberg  2020

"Die in Sigmaringen geborene Künstlerin Angelika Frommherz (*1961) appelliert mit ihren  Bildobjekten an die Sinnlichkeit der Wahrnehmung. In ihren gestickten Zeichnungen spielen die Stofflichkeit und die haptische Qualität der Bildkomposition eine zentrale Rolle. Die Präsenz ihrer Kunst leitet sich ab aus einem frappierend offenkundigen – und zugleich ungewöhnlichen – Umgang mit zwei alltäglichen und zudem leicht zugänglichen Materialien: Kartons und Fäden.

Die in Streifen geschnittenen Kartonbahnen zieht die Künstlerin als reliefartige, nonfigurative Spuren über den Bildträger. Die je nach Bildmuster  geknickten, gefalteten und gebogenen Streifen fixiert Angelika Frommherz schließlich mit schwarzen Fäden. Mal vorsichtig zaghaft, mal stark, explosiv und sehr impulshaft. Die so entstandenen linearen Konstellationen treten zueinander in einen spannungsvollen Dialog. Die breiten Kartonlinien werden von den zarteren Fäden gehalten, Falten, Einrisse und Knotenpunkte ergänzen das grafische Inventar. Ungeahnte Konstellationen sind zu beobachten, bedingt durch die Wesenheit der eingesetzten Stoffe. Der Prozess der Herstellung bleibt auch im Ergebnis ablesbar und spürbar: Die Arbeit erfordert eine Gleichzeitigkeit der Bearbeitung auf Vorder- und Rückseite, Linienkompositionen formen sich, die sich im Gegensatz zum Zeichnen auf Papier nicht immer exakt steuern lassen und auch bei der Künstlerin für Überraschung sorgen. Das Drehen und Wenden der Objekte bedeutet Bewegung im Raum. Doch auch die Werke selbst dehnen sich über die Bildflächen hinaus aus: Zum einen ist es die Erhabenheit des Materials, zum anderen das dadurch erzeugte Spiel des Lichts, das den Objekten eine immer wieder neue, raumgreifende Dimension verleiht. Im Gestus der intuitiven Arbeit, die nur bedingt planbar ist, entwickelt sich somit eine ganz eigene Zeichensprache, welche die Bedingungen der klassischen Zeichnung sprengt, ohne den Bezug dazu ganz zu verlieren. Die Betrachter fühlen sich an entfernt Organisches erinnert, doch bleiben die Formationen stets ungegenständlich, leben vom Leer- und Zwischenraum, der Leichtigkeit erzeugt und den gestickten Objekten so  etwas wie Musikalität zuspielt, eine durchaus harmonische, keinesfalls aber eine stringent- serielle oder gar monotone.

Hinzu kommt eine eigene Farbigkeit, die den Raum-Licht-Linien-Objekten eine zusätzliche Wirkebene verleiht. Die Wahl der Künstlerin fällt auf ein intensives Gelb, das sie als „Lichtfarbe“ bezeichnet. Gerade an jenen Stellen, wo sich das Licht zwischen dem gelbem Hintergrund und den grauen, erhabenen  Stegen bricht, entsteht je nach Lichteinfall eine ganz neue, unerwartete Farbigkeit, die auf der abgewandten Seite ins Violette tönt. Die Komplementarität von Fläche und Raum findet ihren Widerhall im Spiel der Farben – genauso wie die Prägnanz der Linie im Kontrast zum Bildgrund.

Der erste Impuls zum Umgang mit textilen Techniken kam von der Mutter, einer gelernten Schneiderin. Die Beschäftigung und der spielerische Umgang mit Stoffresten, das Collagieren, Applizieren und Malen war der Künstlerin deshalb von Anfang an vertraut. Angeregt von einem Auslandsaufenthalt in Schweden, löste sich Angelika Frommherz  von der akademischen Malerei, mit der sie sich an der Akademie in München – dort bei Prof. Jürgen Reipka – vorrangig beschäftigt hatte. Einen reichen Einblick in den von Farbe und Pigment geprägten Zugang ihrer Entwurfs- und Vorarbeit gewähren die gezeigten „Malbücher“ der Künstlerin."